In der Gemeinde Winsen a. d. Aller ist der Trend nicht anders als landes- und bundesweit; die heimischen Bauernhöfe können sich der allgemeinen Entwicklung nicht entziehen. Auch die hiesigen landwirtschaftlichen Betriebe sind von den weltweiten Entwicklungen auf den Agrarmärkten und den Entscheidungen der Agrarpolitik in der Europäischen Union, in den Bundes- und Landesministerien abhängig.
Die Anzahl der Höfe in Winsen nimmt ab, die großen Betriebe mit 100 Hektar und mehr nehmen zu:
Flächengrößen der Höfe 2001 2007
unter 20 ha 49 36
20 bis unter 50 ha 15 16
50 bis unter 100 ha 19 13
100 ha und mehr 12 15
Winser Höfe gesamt 95 80
Die Gemeinde Winsen a. d. Aller weist auf ihrer Internetseite noch 23 landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe aus. Von den 15.400 ha der gesamten Gemeindefläche werden über 4.500 ha landwirtschaftlich genutzt. Das sind immerhin rund 30 %.
Besonders bemerkenswert aber ist die Situation der leitenden Frauen in der Landwirtschaft in Europa. Sie ist im Vergleich der großen westlichen Flächenstaaten höchst unterschiedlich. Unter den
beliebten Urlaubsländern mit hochentwickelter Landwirtschaft ist die Bundesrepublik Deutschland das Schlusslicht beim Anteil der Frauen an der Leitung der Höfe: Nur 9,2 % der Betriebsleitungen
sind weiblich. In Spanien ist die Quote mit 18,8 % doppelt so hoch, in Frankreich sind es sogar rund 22 %, in Italien fast 30 %.
Die Situation der Winser Bäuerinnen unterscheidet sich nicht grundlegend von der in Deutschland. Doch sind unter den zehn Frauen dieses Ausstellungsprojekts zwei Eigentümerinnen oder Erbinnen
ihrer Landwirtschaft, und alle zehn Bäuerinnen sind selbstbewusste, couragierte und kompetente Persönlichkeiten.
Im Europavergleich wird deutlich, dass die außerbetriebliche, nicht landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit gerade für die private Landwirtschaft in den zwei größten EU-Staaten eine immer wichtiger
werdende Einnahmequelle ist.
Bundesweit sind es rund 22 % der Höfe, die auf solche ergänzenden Einkommen angewiesen sind, in Frankreich schon fast 24 %. In Italien dagegen sind es bloß 6,4 % und in Spanien sogar nur 3,5 %.
Die Winser Landwirtschaftsbetriebe führen den gleichen Existenzkampf wie viele Höfe im Bundesgebiet. Dazu gehört die Suche nach Nebenerwerbseinkommen und nach zusätzlichen Einnahmequellen außerhalb der Landwirtschaft. Darum ist die große Freude verständlich, wenn eine der Bäuerinnen endlich die lang erhoffte außerlandwirtschaftliche Arbeitsstelle mit eigenem Einkommen erringen konnte. Ein solcher Erfolg ist noch größer, wenn für den neuen Arbeitgeber die Qualifikation der Bäuerin ausschlaggebend war, ihre Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und ihre fachlichen Kompetenzen. Liegt der errungene Arbeitsplatz auch noch in der Region des Hofes, ist das ein besonderer Glücksfall. Einerseits.
Doch andererseits kommt auf diese Landfrau eine enorme zusätzliche Belastung zu. Denn die Landwirtschaft braucht weiterhin ihre Arbeitskraft, die Familie erwartet auch zukünftig ihre
hauswirtschaftlichen Leistungen und das ehrenamtliche Engagement soll möglichst nicht eingeschränkt werden. Das Leben und Überleben der bäuerlichen Betriebe ist von so vielen Faktoren abhängig,
dass es geradezu verwundert, mit wie viel Mut und Ideenreichtum die hier ansässigen Familien ihre wirtschaftliche Gegenwart gestalten und die Zukunft planen.
Die Vorstellung ist natürlich naiv, die Winser Milchbäuerinnen beispielsweise brauchten ihren Kühen nur ordentlich aufs Euter zu drücken, dann fließe das Geld quasi von selbst. In Wirklichkeit
sind sie wie alle Milchbauern europaweit abhängig von zahlreichen Regierungsentscheidungen auf Landes-, Bundes- und Europaebene. Dazu gehört ganz wesentlich der Milchauszahlungspreis, also der
Preis für die Rohmilch.
Die Entscheidungen über seine Mindesthöhe trifft die Europäische Kommission. Die Molkereien entscheiden letztlich über den konkreten Betrag dieses Auszahlungspreises. Und der hängt nicht nur von
der Milchmenge ab, sondern von vielen anderen Faktoren: dem Fett- und Eiweißgehalt, Qualitätsmerkmalen wie Keimzahl, Zellzahl, Hemmstoffen und dem Gefrierpunkt der Milch. Die Keimzahl sagt etwas
über die bakteriologische Belastung der Rohmilch aus. Die Zellzahl lässt Rückschlüsse auf die Eutergesundheit der Milchkühe zu. Hemmstoffe sind Substanzen, die auf Mikroorganismen in der Milch
wirken, eben hemmend oder abtötend. Sie sind auch in Tierarzneien und Futtermitteln enthalten, etwa Antibiotika. Der Gefrierpunkt informiert über den Wasseranteil in der Rohmilch.
Das ist noch lange nicht alles. Neben dem Milchauszahlungspreis bestimmt auch die Höhe der Milchprämie über die bäuerliche Existenz. Das ist ein Zuschuss an die Milchbauern aus einem
landwirtschaftlichen Fonds der EU. Diese Milchprämie ist seit 2010 nicht mehr von der Menge der produzierten Milch abhängig, sondern von der landwirtschaftlichen Fläche, die der Milchviehhalter
bewirtschaftet. Über die Einnahmehöhe der Milchhöfe entscheidet zusätzlich die Milchquote. Damit soll der europäische Milchmarkt vor zu hohen Milchmengen geschützt und ein wirtschaftlich
interessanter Milchpreis gesichert werden. Der milchwirtschaftlich erfolgreiche Hof, der seine Milchquote überschreitet, muss Strafe zahlen. Und die ist beträchtlich hoch. Sie kommt rasch auf
über 80 % des Erzeugerpreises.
Auch die Milch produzierenden Höfe in Winsen unterliegen diesen europaweiten Bestimmungen. So wird aus der kleinen Gemeinde Winsen ein Dorf mit europäischen Strukturen: Die Arbeit der drei
hiesigen Milchbäuerinnen ist wesentlich von den staatlichen Vorgaben aus Berlin und Brüssel abhängig.
Nichts grundsätzlich anderes gilt in Winsen für die bäuerlichen Getreide, Kartoffel- und Futtermittelproduzenten, für die Züchter und Mäster von Rindern und Schweinen. Der lange Arm der
Agrarpolitiker in der Europäischen Union und in den deutschen Landwirtschaftsministerien reicht bis aufs kleinste Feld, in den kleinsten Stall und sogar bis in den Tank der Traktoren.
Immer wieder steht das eine Thema auf der Tagesordnung von Fachveranstaltungen der Bauernverbände, Landwirtschaftsministerien und Landfrauenvereinigungen: Hat die private bäuerliche
Landwirtschaft noch eine Zukunftsperspektive? Denn neben den immerwährenden existenziellen Herausforderungen wird die Landwirtschaft auch in Winsen mit vielen weiteren Fragen konfrontiert: Wie
bewältigen wir die Herausforderungen des Klimawandels? Wie gelingt uns eine ökologische Energiewende? Wer hilft uns bei der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen? Wie begegnen wir dem
Verlust der Artenvielfalt? Welche Anforderungen stellt ein modernes Wassermanagement? Reichen die Anforderungen an den Tierschutz? Und: Wie können wir eine hochwertigen Ernährung der Bevölkerung
sichern?
Noch sind überzeugende und praktikable Antworten auf diese Herausforderungen nicht gefunden, da verschärfen sich die herkömmlichen Probleme: Die Winser Höfe ringen um ihre Wettbewerbsfähigkeit,
suchen nach wirtschaftlichen Alternativen und besserer Lebensqualität für die bäuerlichen Familien. Werden die Kinder und Enkel später die Betriebe weiterführen? Gehört Klein-Hannah zur nächsten
Generation moderner Bäuerinnen?
Text und Foto: Gabriele Scheibner